Falludscha, Irak
Der Einsatz von Uranmunition im Irakkrieg von 2003 setzte die Lokalbevölkerung radioaktivem Staub aus. Dies könnte möglicherweise den signifikanten Anstieg von Krebserkrankungen und angeborenen Fehlbildungen erklären, die in Falludscha seit 2003 dokumentiert wurden. Auch die Soldaten, die mit der strahlenden Munition in Kontakt kamen, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko.
Foto: Auf der Neugeborenenstation der Kinderklinik in Falludscha, 2012. Dieses Mädchen kam mit einem Herzfehler und deformierten Armen und Beinen zur Welt. Eine Studie von 2010 stellte bei 14,7 % aller in Falludscha geborenen Kinder Missbildungen fest. © Donna Mulhearn
Hintergrund
Abgereichertes Uran (Depleted Uranium = DU) besteht überwiegend aus dem Isotop Uran-238 und ist ein Nebenprodukt der Anreicherung von Uran für Atomreaktoren oder Nuklearwaffen. Munition mit abgereichertem Uran wurde in beiden Irakkriegen 1991 und 2003 eingesetzt. Es wird geschätzt, dass während des Krieges im Jahr 2003 zwischen 1.000 und 2.000 Tonnen abgereichertes Uran eingesetzt wurden, wobei die kleinsten Geschosse 300 g enthielten und die größten Bomben bis zu sieben Tonnen.
Neben den USA und Großbritannien werden auch andere Länder verdächtigt, DU-Munition einzusetzen. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Atomwirtschaft. Deshalb ist es in Ländern mit ziviler oder militärischer Atomindustrie reichlich vorhanden. Aufgrund der hohen Materialdichte verleiht abgereichertes Uran Geschossen die Fähigkeit, selbst stärksten Panzerstahl zu durchdringen. Dabei wird das DU pulverisiert und entzündet sich spontan. Das entstehende Uranoxid-Aerosol verteilt sich mit dem Wind und kontaminiert große Flächen. Nach dem Irakkrieg wurden viele Panzer, die von Uranmunition zerstört wurden, auf den Schlachtfeldern vor Städten wie Falludscha stehen gelassen. Während das britische Verteidigungsministerium seinen Soldaten empfiehlt, auf diesen Panzerfriedhöfen Atemschutzmasken zu tragen, wurden an die irakische Bevölkerung keinerlei Warnungen ausgegeben.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Pulverisiertes Uranoxid kann durch Inhalation, orale Aufnahme oder offene Wunden in den Körper gelangen. Sobald es sich im Blut gelöst hat, wird ein Teil über den Urin ausgeschieden, wobei die Nieren nachhaltig geschädigt werden. Der Rest verbleibt im Körper, wo das Uran sich vor allem in den Knochen einlagert und von dort aus kontinuierlich das umliegende Gewebe verstrahlt. Obwohl Uran primär ein Alpha-Strahler ist, können seine Zerfallsprodukte auch Gamma- oder Beta-Strahlung produzieren. Die Strahlung verursacht u. a. Mutationen, Krebs und angeborene Fehlbildungen. In Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass DU auch generationsübergreifende genetische Schäden hervorruft.
Nach dem Irakkrieg von 2003 wurden Panzerfriedhöfe von Kindern als „Abenteuerspielplätze“ benutzt. Zudem wurden aus den ausgebrannten Panzern Wertgegenstände, Altmetall und Munitionsreste geplündert, so dass auch lange nach Ende der Kampfhandlungen Menschen mit radioaktivem Staub in Berührung kamen. Wenige Jahre später kam es zu einem Anstieg angeborener Fehlbildungen und Krebserkrankungen in der Nähe der Panzerfriedhöfe. Eine Studie von 2010 stellte fest, dass die Rate der Krebserkrankungen in Falludscha nach 2003 etwa viermal höher lag als die üblichen Raten in den Krebsregistern Jordaniens oder des Middle East Cancer Consortium. Die Krebsinzidenz bei Kindern zeigte sich sogar um das 12-Fache, die Leukämierate um das 38-Fache erhöht.5 Eine weitere Studie aus demselben Jahr stellte bei 14,7 % aller in Falludscha geborenen Kinder Missbildungen fest. Eine Folgestudie fand in den Haaren von Müttern mit missgebildeten Kindern signifikant mehr Uran als in den Haaren einer vergleichbaren Kontrollpopulation (0,18 ppm vs. 0,04 ppm).
Ausblick
Die Folgen des Einsatzes von DU-Munition werden erst langsam verstanden. Ohne das Wissen über die Einsatzorte und -mengen ist der Schutz der betroffenen Bevölkerung, sei es durch Information, durch Absperrungen und auch durch Dekontaminationsbemühungen, fast unmöglich. Die Anwenderstaaten von Uranmunition müssen die betroffenen Regierungen und die betroffene Bevölkerung schnell und umfassend über den Einsatz informieren. Auch im Kosovo und in Serbien wurde während des Krieges 1999 abgereichertes Uran eingesetzt. Vor allem britische und US-amerikanische SoldatInnen hatten Kontakt mit der Munition. Nach Angaben der British Royal Society können SoldatInnen, die Uranstaub eingeatmet haben, ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden und Lungenkrebs haben. Die Bevölkerung Falludschas und die SoldatInnen der USA und Großbritanniens – auch sie sind Hibakusha.
Weiterführende Literatur
- Report „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition“ von IPPNW und ICBUW: http://issuu.com/ippnw/docs/ippnw_icbuw_report_depleted-uranium_2012/1
- Broschüre „Uranmunition – Strahlende Geschosse“: issuu.com/ippnw/docs/ippnw_uranmunition_web
Quellen
- Brown P. „Gulf troops face tests for cancer“. The Guardian, 25.04.03. www.guardian.co.uk/uk/2003/apr/25/internationaleducationnews.armstrade
- Hindin et al. „Teratogenicity of depleted uranium aerosols: A review from an epidemiological perspective“. Environ. Health, 4:17, 2005. www.ehjournal.net/content/4/1/17
- Briner WE. „The evolution of depleted uranium as an environmental risk factor“. Int J Environ Res Public Health. 2006 Jun;3(2):129-35. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16823086
- Miller et al. „A review of depleted uranium biological effects: in vitro and in vivo studies“. US Armed Forces Radiobiology Research Institute. Rev Environ Health. 2007 Jan-Mar;22(1):75-89 . www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17508699
- Busby et al. „Cancer, infant mortality and birth sex-ratio in Fallujah, Iraq 2005-2009“. Int J Environ Res Public Health 2010;7:2828-37. www.mdpi.com/1660-4601/7/7/2828
- Manduca et al. „High Prevalence Data and Increase in Time of Birth Defects in Fallujah, Iraq: Historical Reproductive Life and Hair Metal Load in Newborns and Children with Birth Defects and Their Families“. Newweapons Committee, 2010. www.uruknet.info/?p=76241
- Alaani et al. „Uranium and other contaminants in hair from the parents of children with congenital anomalies in Fallujah, Iraq“. Confl Health 2011;5:15. www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3177876/