Sellafield/Windscale, Vereinigtes Königreich

Produktion / Herstellung
1946 begann die britische Regierung in der Nähe des nordenglischen Städtchens Sellafield mit dem Bau der ersten Reaktoren für die Produktion von waffenfähigem Plutonium – die Geburtsstunde der Atomanlage „Windscale“. Durch zahllose Störfälle geriet Windscale immer mehr in Verruf. Um die öffentliche Wahrnehmung zu verbessern, wurde die Anlage später in „Sellafield“ umbenannt. Foto: tim_d / creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0

Die größte zivile und militärische Atomanlage Europas steht in Sellafield. Während hier in der Vergangenheit Plutonium für das britische Atomwaffenprogramm produziert wurde, dient der Standort heute als Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll. Der Großbrand von 1957 sowie zahlreiche radioaktive Lecks kontaminierten die Umwelt und setzten die Bevölkerung erhöhten Strahlenwerten aus.

Foto: 1946 begann die britische Regierung in der Nähe des nordenglischen Städtchens Sellafield mit dem Bau der ersten Reaktoren für die Produktion von waffenfähigem Plutonium – die Geburtsstunde der Atomanlage „Windscale“. Durch zahllose Störfälle geriet Windscale immer mehr in Verruf. Um die öffentliche Wahrnehmung zu verbessern, wurde die Anlage später in „Sellafield“ umbenannt. Foto: tim_d / creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0

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Hintergrund

1946 begann die britische Regierung in der Nähe des nordenglischen Städtchens Sellafield mit dem Bau der ersten Reaktoren für die Produktion von waffenfähigem Plutonium – die Geburtsstunde der Atomanlage „Windscale“. Im Jahre 1952 konnten bereits die ersten Atomsprengköpfe fertiggestellt werden; vier Jahre später lief das weltweit erste kommerzielle Atomkraftwerk an. Aufgrund eines Konstruktionsfehlers speicherten die Grafitblöcke im Inneren des Reaktors allerdings zu viel Energie. Um Explosionen zu verhindern, musste diese in regelmäßigen Intervallen abgegeben werden. Während einer solchen planmäßigen Energieentladung am 7. Oktober 1957 führten fehlerhafte Temperaturmessgeräte und grobe Fehleinschätzungen der Belegschaft zur kritischen Überhitzung des Kerns. Als Konsequenz fingen zehn Tonnen atomare Brennelemente im Reaktorkern Feuer und brannten unkontrolliert für zwei Tage. Der Brand setzte große Mengen an Radionukliden frei, darunter Plutonium, Cäsium-137, Strontium-90 und Jod-131. Glücklicherweise wurde der Großteil der radioaktiven Wolke vom Wind Richtung Meer geblasen. Das Wasser, das zum Löschen der Reaktoren eingesetzt wurde, verdunstete und setzte zusätzlich radioaktive Strahlung in die Atmosphäre frei. Die Bevölkerung wurde über diese Vorfälle erst am 11. Oktober informiert und trotz der Gefahr des radioaktiven Niederschlags nicht evakuiert. Die mit Jod-131 kontaminierte Milch aus der Region wurde nachträglich für Wochen aus dem Handel verbannt und zwei Millionen Liter davon in die Irische See gekippt.

Durch zahllose Störfälle und die unverantwortliche Handhabung von radioaktivem Abfall geriet Windscale in den darauf folgenden Jahren immer mehr in Verruf. Um die öffentliche Wahrnehmung zu verbessern, wurde die Anlage in „Sellafield“ umbenannt. Die Aufgabe der Anlage wandelte sich mit der Zeit und umfasst heute die Wiederaufbereitung von abgenutzten Brennstäben und die Produktion von Mischoxid-Brennstäben (MOX), welche Plutonium und Uran enthalten. MOX wird international stark kritisiert, u. a. durch die USA, da die freie Verfügbarkeit großer Mengen von Plutonium eine Proliferationsgefahr darstellt.

Folgen für Umwelt und Gesundheit

Der Brand des Windscale-Reaktors und die daraus entstandene radioaktive Wolke mit radioaktiven Partikeln wie Jod-131 und Polonium-210 verursachte konservativen Schätzungen zu Folge mindestens 190 Krebsfälle, von denen mehr als die Hälfte tödlich verlief. Und auch die Flora und Fauna der Irischen See trug durch den radioaktiven Niederschlag, die zahlreichen Lecks und Unfälle und das regelmäßige Verkippen radioaktiven Abwassers enormen Schaden davon. In den Jahren 2004/2005 traten durch ein Leck etwa 83.000 Liter radioaktive Säure ins Meer aus – versetzt mit den krebserregenden Stoffen Strontium-90 und Cäsium-137. Über die marine Nahrungskette gelangen diese Radioisotope in britische, norwegische und irische Fischfanggebiete. Sogar die Atomkraftbefürworter der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) mussten zugeben, dass die Atomanlage in Sellafield massiv zur radioaktiven Verseuchung des Nordatlantik beiträgt. Rund um die Anlage wurden in Bodenproben zudem wiederholt erhöhte Konzentrationen von Cäsium-137, Cobalt-60 oder Americium-241 gefunden, sodass auch Feldfrüchte, Getreide und Milch belastet sein dürften. 2002 kam durch eine britische Studie ans Licht, dass Kinder von Arbeitern aus Sellafield ein fast zweifach erhöhtes Risiko haben, an Leukämie und Lymphomen zu erkranken.

Ausblick

Das US-amerikanische Institut für Ressourcen- und Sicherheitswissenschaft bezeichnete Sellafield als „eine der weltweit gefährlichsten Anhäufung von langlebigen radioaktiven Substanzen“. Die Risiken sind vielfältig: Naturkatastrophen könnten die Kühlsysteme beeinträchtigen, menschliches Versagen zu Bränden, Unfällen oder Explosionen führen, die Anlage könnte Ziel terroristischer Anschläge oder Hackerangriffe werden und selbst massive Schäden durch Computerviren sind nicht auszuschließen. Nach der Kernschmelze von Fukushima hat die britische Regierung zumindest beschlossen, die Produktion der gefährlichen MOX-Brennstäbe einzustellen. Ohne Möglichkeiten, sich der benutzten Brennstäbe zu entledigen, verwandelt sich Sellafield derweil in eine gigantische Atommülldeponie. Das Leid der Anwohner, die seit Jahrzehnten erhöhten Strahlenwerten ausgesetzt werden, wird von der Regierung weitestgehend ignoriert und wissenschaftliche Aufarbeitung im Namen von Energiesicherheit vertagt. Dabei sind auch die Menschen von Sellafield Opfer der Atomindustrie. Auch sie sind Hibakusha.

Quellen

54.418431, -3.49777